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Welche Ruhe im Ausland!

Wer nach China reist, wie das der Zeichner und grafische Künstler Michael Jordan im Februar 2017 getan hat, steht vor keiner kleinen Herausforderung. Die üblichen Techniken der Welterfahrung und Kommunikation sind stark eingeschränkt: Mehr als ein zweifelhaft intoniertes nihao zur Begrüßung bringt der Reisende selten über die Lippen. Die Fremdsprachenkenntnisse der Gastgeber tendieren ebenfalls häufig gegen Null. Land und Leute, Sprache und Schrift, China, erscheinen als unlesbare Chiffren, als exotisches Rätsel.
Ein Zustand, den man auch als entlastend und anziehend  empfinden kann. „Welche Ruhe im Ausland!“, freute sich Roland Barthes nach einer Japan-Reise und notierte in seiner forschenden Text-Bild-Serialisierung „Das Reich der Zeichen“, dass „die rauschende Masse einer unbekannten Sprache“ eine „delikate Abschirmung“ bilde: „Ich lebe in einem Zwischenraum, der frei von jeder vollen Bedeutung ist.“
Keine schlechte Ausgangssituation für einen Künstler wie Michael Jordan, der sich der Unmöglichkeit, der beobachtbaren Welt in ihrer Komplexität so etwas wie ein Wirklichkeitssubstrat abzuringen, ohnehin bewusst ist. In seinen Zeichnungen, Druckgrafiken, Aquarellen oder Collagen, in seinen Künstlerbüchern, reflektiert Michael Jordan gerne diese Unübersetzbarkeit, setzt Alltagsbeobachtungen und Material, das er auf der Straße findet, in Zeitschriften oder im Internet, in überraschende, neue Bezüge und legt dabei mit feinem Strich so alltägliche wie absurde Besonderheiten frei.
Anlass für Jordans vierwöchigen Ausflug ins Reich der Zeichen war ein Künstleraustausch zum 20-jährigen Jubiläum der Städtepartnerschaft zwischen dem Großraum Nürnberg und der südchinesischen Millionenstadt. Jordan bezog Quartier im Shenzhen Fine Art Institute, wo man ihm – als „Staatsgast der niedrigsten Stufe“ – einen ständigen Begleiter beistellte. Der  lotste ihn durch das offizielle Besuchsprogramm: Treffen mit Staatskünstlern, Besuche von historisch-kulturell bedeutsamen Orten und High-Tech-Schmieden, Tee-Zeremonien, Abendessen. Von eigenen Aktivitäten riet man ihm „aus Sicherheitsgründen“ ab.
In Michael Jordans Zeichnungen und Collagen aus Shenzhen tauchen Stationen und Themen dieses Programms immer wieder auf. Die Form eines grafischen Reiseberichts, wie sie in den letzten Jahren – über Kuba, Marokko, die Ukraine oder auch Shenzhen – veröffentlicht wurden, nehmen sie nicht an. Jordan geht fragender vor, nimmt Züge des Erlebten auf – die Ästhetik der Zeichen, wie sie auf den Etiketten von Wasserflaschen oder Speisekarten erfahrbar werden, Kunsthistorisches,  Alltagskulturelles, Begegnungen, Zitate – und bildet daraus, ganz im Sinne Roland Barthes, ein bezugsreiches System aus Eigenem und Fremdem, das man durchaus China nennen könnte.
Die „delikate Abschirmung“, die er dabei erfuhr, war ihm  nicht immer geheuer. Einige Zeichnungen für seine Ausstellung zum Ende des Aufenthalts fielen der Zensur zum Opfer, allzu Sinnliches oder politisch Anrühriges musste er übermalen. „Why don´t you paint a flower here?“, erscheint so in den Arbeiten wie ein dunkler Refrain, der deutlich macht, dass die „Ruhe“, auf die der Reisende in China trifft, nicht selten teuer erkauft ist.

Thomas Wolkinger

 

 

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