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BUTZ & SCHOPENHAUER

Die Konzeption eines Comic-Strips
von Georg Klein und Michael Jordan


1. PHYSIOGNOMIE, STIL UND GEFÜHL

Es waren zugleich die Person und das Werk Arthur Schopenhauers, die uns dazu angeregt haben, ihn zum Protagonisten eines Comic-Strips zu machen. An der Person faszinierte uns zunächst die unverwechselbare Physiognomie, wie sie die Fotografien aus den letzten Lebensjahrzehnten des Philosophen zeigen. Die stolze Entschiedenheit des einsamen alten Mannes, die Nietzsche auf die Formel „Niemand war er untertan“ bringen wird, spricht Scheinbar unvermittelt zu uns. Es ist, als wäre Schopenhauer mit in die Zukunft gerichteter Absicht vor den neuartigen Apparaten getreten, als wollte der alte Philosoph vor uns Nachge-borenen selbst den Beweis für seine These antreten, dass der Charakter eines Menschen zur Gänze aus dem ersten Eindruck abzulesen sei, den sein Gesicht auf einen mache.
Am Werk Schopenhauers nahm uns als erstes die Spannkraft und die Klarheit seines Stils gefangen. Kein deutscher Schriftsteller verführt mehr zum Zitat als Schopenhauer. Im Text Schopenhauers wird der einzelne Satz zum fast körperlichen Ausdruck des Gedankens.
Schopenhauers Stil ist „bündig“ im besten Sinne des Wortes. Er vereint Kürze, Genauigkeit und Schönheit in einer Weise, wie sie im Deutschen, dessen Ausdrucksmöglichkeiten und -grenzen Schopenhauer selbst mit sprachkritischem Spott bedacht hat, nur äußerst selten zu finden sind. Dem großen pessimistischen Dogmatiker, dem Verneiner des „Willens“, insbesondere des „Willens zum Leben“, stehen wir skeptisch gegenüber. Aber wir bewundern die Fülle der Nebenfunde, die er bei der Arbeit an seinem „einen Gedanken“ macht und die Kunst, mit der er diese Fundstücke in wirkmächtige Sprache zu fassen vermag.
Allein schon die Ausdruckskraft seiner Physiognomie und die Schlagkraft seiner Sentenzen prädestinieren Schopenhauer dazu, Held eines Comic-Strips zu werden. Denn dieses Genre der Bildgeschichte, das wie kein zweites zur Ökonomie seiner Mittel gezwungen ist, braucht Elemente, die schnell und kräftig wirken. Die ästhetischen Widerhaken eines Comic-Strips erfassen das Empfindungsvermögen und die Erkenntnislust des Betrachters binnen weniger Augenblicke oder gar nicht. Allerdings gehört zum Wesen des Strips als notwendiger Antipode seiner Kürze sein Serien-Charakter. Wir geben dem Strip nur eine kurze Spanne konzentrierter Aufmerksamkeit. Aber wir wissen zugleich, dass er und damit alles, was wir an ihm schätzen, wiederkehrt. Jeder Comic-Strip spekuliert auf dauerhafte emotionale Bindung. Die idealen Rezipienten eines Strips sind die treuen Leser einer Tages- oder Wochenzeitung. Die Identifikation mit dem Stil einer Zeitung ist der ideale Humus für die Identifikation mit dem Stil eines Strips.
Kann ein Denker wie Schopenhauer, der in der intimen Radikalität seiner Erkenntnis nie auf das Halbverständnis einer Gefolgschaft spekuliert, die Identifikationsfigur eines Comic-Strips sein? Er kann es, wenn er eine emotionale „Schnittstelle“ besitzt, eine Sphäre der affektiven Zugänglichkeit. Es braucht eine Dimension, in der seine Figur noch nicht restlos in Gedanken und Sprache ausgehärtet ist. An der Gestalt des Philosophen Schopenhauer eröffnet sich eine solche Dimension, und manchen scheint sich damit die Achilles-Ferse seines praktischen Lebens zu zeigen: Es ist Schopenhauers Verhältnis zum Tier.
Uns ist das Zusammenleben des Philosophen mit seinen Hunden allerdings nicht – wie schon zu Lebzeiten des Philosophen praktiziert – willkommener Anlass, den Philosophen vom Podest seines Denkens in „menschelnde“ Gefilde herabzuholen. Das Tier, dem Schopenhauer nicht nur seine praktische Anteilnahme, sondern immer wieder auch seine theoretische Anstrengung zugute kommen lässt, ist ihm unverzichtbarer Spiegel bei der Erkenntnis menschlicher Existenz, und der Umgang mit dem Tier wird Schopenhauer zum moralischen Prüfstein menschlichen Handelns. Dass und warum gerade der Blick des Haus- und Nutztiers den modern werdenden Menschen beschämt, rückt Schopenhauer immer wieder in den Lichtkreis seines Denkens. Die Pudel, mit denen Schopenhauer lebte und von denen der langlebigste BUTZ hieß, bezeichnen deshalb Glücks- und Schmerzpunkte, aber keine Blindstellen auf der Oberfläche seiner Existenz. In diesem Sinne soll unser Comic-Pudel Butz ein anrührendes, aber kein rührseliges, ein kritisch-komisches, aber kein lächerliches oder lächerlich machendes Gegenüber des Philosophen sein.


2. Zitat, Konflikt und Erzählung


Die sprachliche Dimension jedes Butz & Schopenhauer-Strips besteht allein in einem Zitat aus dem Werk des Philosophen, in der Regel in einem einzigen Satz. Dieser zitierte Satz ist für uns weniger eine sprachliche Vorgabe, die bildlich illustriert werden soll, sondern eher sprachliche Vorgabe, die bildlich illustriert werden soll, sondern eher ein konstruktiver Widerstand der Strip-Erzählung. Die Bilderfolge des Comic-Strips soll in einem kritischen Dialog mit ihm treten. Im Idealfall aktivieren die Bilder das Erkenntnispotential des Zitats, anstatt es durch bloße Verdoppelung oder durch den Kurzschluss einer Pointe sofort wieder zu neutralisieren.
Dies hieß für uns, ganz auf die narrativen Möglichkeiten des Genres Strip zu setzen. Die Figur Schopenhauers bewegt sich in verschiedenen Erzählräumen. Zum einen sind es jene Orte, die man öffentliche Räume des Alltags nennen kann: die Fußgängerzonen, das Kaufhaus, den Stadtpark, die Verkehrsunterführung oder die Wagen der U-Bahn. Hier ist Schopenhauer in „historischem“ Kostüm unterwegs. Als Wiedergänger einer anderen Zeit erregt er aber kein Erstaunen oder gar Grauen. Auch der leibhaftige Abkömmling einer anderen Epoche stört nicht in einer Gegenwart, die sich klammheimlich längst als posthistorisch oder ahistorisch versteht. In einer Welt, der alles Vergangene gleichermaßen zum Material wird, ist diese Schopenhauer-Gestalt nur einer jener vielen atomisierten Einzelgänger, die von der anonymen Fluktuation der Individuen in der Öffentlichkeit profitieren. Den öffentlichen Bereich konterkariert Schopenhauers privates Refugium, die Kleinwohnung eines alten Mannes mit bescheidener Rente. Dort verträgt sich das Schreibpult des Philosophen mit dem Fernseher.
Dort spült Schopenhauer sein Geschirr, treibt Zahnpflege vor dem Spiegel und nächtigt mit Schlafmütze und Pudel. Die strenge Dichotomie dieser Sphären verwischt sich in medialen Zwischenwelten: im Traum, in der Vision von Vergangenem und Zukünftigem, in den virtuellen Welten des Fernsehens und des Internets.
Die souveräne Kraft, die die Sentenzen des Philosophen besitzen, verführt dazu, die Figur Schopenhauer zum bloßen Kommentator gegenwärtiger Situationen zu machen. Damit stünde er in einer Art allmächtigem Abseits. Unser Comic-Strip-Schopenhauer soll aber in Tuchfühlung mit Typen und Charakteren unserer Gegenwart geraten. Er soll neben dem makellosen Sprachkörper seiner Sätze auch einen handelnden (und behandelten) Leib besitzen. Wenn wir in unseren Strips die Figur Schopenhauers in Begegnungen, Konfrontationen und Konflikte führen, wirkt dies auch auf das Zitat zurück. Die Sentenz verliert ihren mono-lithischen Charakter und gerät in ein Wechselspiel mit den erzählerischen Elementen des Bildes.
Unsere Schopenhauer-Strips sind nicht schwierig in dem Sinne, dass sie besondere Kenntnisse voraussetzen oder dem Betrachter umständliches Grübeln abverlangen würden. Solche Ansprüche widersprächen dem Genre Comic-Strip. Aber BUTZ & SCHOPENHAUER braucht doch einen starken Betrachter, ein Auge, das hinsehen kann und verweilen mag. Erst das Schweifen setzt dessen erzählerisches Potential frei. Der Strip vertraut einerseits wie ein Text auf das Voranschreiten, auf die erzählerische Succession, andererseits bietet er dem Betrachter immer auch „alles“: die Totale und die Rückschau in allen Etappen seiner Geschichte. Dies verdeutlicht in besonderer Weise die breite Panorama-Zeichnung des Einbild-Strips. Wenn ein solcher Strip-In-Einem-Bild gelungen ist, dann zeigt er mehr als der scheinbar ähnliche Cartoon: Der Einbild-Strip ist kein pointenfixierter Bildwitz, sondern eine Einladung in den Raum einer Erzählung.
All dies in der gebotenen Kürze deutlich machen, dass BUTZ & SCHOPENHAUER für das Feuilleton einer anspruchsvollen Zeitung konzipiert ist, für ein Feuilleton, das die Bildgeschichte als moderne Kunstform anerkennt und sich die Blutsverwandtschaft des Genres Comic-Strip mit dem Medium Zeitung zunutze machen will.

 

 


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